, Suter Ramon

Das grösste Wiener Schnitzel?

 

Am Samstag, den 24. August 2019 in Wien: Die neunte und letzte Runde des «Vienna Chess Open» beginnt um 10:00 Uhr.

Der Surseer Nicolas Küng hat in der Gruppe B grossartig aufgespielt – mit zwei Unentschieden und sechs Siegen blieb er bis dahin ungeschlagen. Im Spitzenquartett der insgesamt über 400 Spielern weist er zu diesem Zeitpunkt die zweitbeste Buchholzwertung auf.

Rg. Snr Name Land Elo Pkt.  Wtg1   Wtg2 
1 101 Galván Sarmiento José Luis ESP 1881 7.0 32.0 42.0
2 27 Küng Nicolas SUI 1957 7.0 31.0 41.0
3 109 Bozinovic Boban AUT 1877 7.0 29.5 37.5
4 177 Erwin-Casero Daniel AUT 1814 7.0 28.5 36.5

Stand nach der 8. Runde

In der allerletzten Runde spielt Nicolas am ersten Brett mit Schwarz gegen die Nummer drei der Rangliste nach acht Runden. Am zweiten Brett spielt der zu diesem Zeitpunkt führende Spieler, ebenfalls mit Schwarz, gegen die Nummer vier.

Br. Nr. Name Elo Name Elo Nr.
1 109 Bozinovic Boban 1877 Küng Nicolas 1957 27
2 177 Erwin-Casero Daniel 1814 Galván Sarmiento José Luis 1881 101

Paarungen der 9. Runde

Damit präsentiert sich die Ausgangslage für Nicolas wie folgt:

  • Gewinnt der Führende, reicht ihm ein Sieg sicher zum zweiten Platz und mit etwas Glück auch ein Remis.
  • Remisiert der Führende, reicht ihm ein Sieg sicher zum Turniersieg und mit viel Glück auch ein Remis.
  • Verliert der Führende, reicht ihm ein Sieg (aufgrund von 3.5 Punkten Vorsprung in der Buchholzwertung) aller Wahrscheinlichkeit nach zum Turniersieg.

Nicolas spielt natürlich auf Sieg. Nur ist das mit Schwarz gegen einen anderen Überflieger des Turniers nicht gerade einfach. Der womöglich grösste Erfolg des bald 22-Jährigen steht zum Greifen nah.

Als Antwort auf 1. e4 wählt Nicolas aus seinem Repertoire die sizilianische Verteidigung. Der Computer erkennt danach 18 Theoriezüge. Es ist eine interessante Stellung entstanden, wobei Schwarz für die Kontrolle im Zentrum eine weniger schöne Bauernstruktur in Kauf nimmt. Die Lage auf dem Brett ist unklar. Das Spielverständnis und die Kreativität der beiden Kontrahenten sind gefordert. Obwohl er der Nachziehende ist, greift Nicolas sofort an. Das führt rasch zu einem leichten Vorteil.

Dann verliert der bisher Führende seine Partie, er wird mit dem König noch im Zentrum mattgesetzt. Folglich wäre Nicolas mit einem Sieg aller Wahrscheinlichkeit nach Turniersieger. Sein Gegner bietet ihm nach dem 21. Zug ein Remis an, welches Nicolas ablehnt. Mit dem Verlauf der Partie werden die Vorteile von Schwarz klarer, aber gewonnen ist die Partie noch nicht. Unter Zeitnot und vermutlich mit etwas Nervenflattern gibt Nicolas seinen Vorteil zwischen dem 37. und dem 47. Zug wieder her.

Derweil lichten sich allmählich die Reihen an den anderen Brettern. Partie um Partie wird entschieden oder Remis gegeben.

In dieser heissen Phase begeht Nicolas einen Fehler und ermöglicht es damit seinem Gegner, seinerseits auf Sieg zu spielen. Doch er kämpft sich von diesem Rückschlag zurück und kann die Partie wieder ausgleichen. Nicolas macht mehr für das Spiel und setzt seinen Gegner unter Druck, erzwingt so einen Fehler, der eigentlich von entscheidender Natur sein müsste. Nachdem Weiss mit 73. Td7 den Turmtausch initiiert, steht Schwarz auf Gewinn.


Bozinovic Boban - Küng Nicolas (73.Td7)

Der bereits auf die 3. Reihe vorgerückte e-Bauer ist zu stark. Im 77. Zug muss Weiss seinen Springer opfern, um dessen Umwandlung zu verhindern. Mit der dadurch entstandenen materiellen Übermacht krallt sich Nicolas die zwei verbliebenen Bauern von Weiss.

Geschickt wiederholt Nicolas ein paar verschiedene Stellungen, natürlich nie drei Mal. Mit dem 30-Sekunden Bonus pro Zug kann er sein Zeitkonto auf der Uhr aufstocken. Nachdem Nicolas seinen f-Bauern auf ein weisses Feld stellt, muss Weiss im 115. Zug mit dem Läufer seine letzte Figur opfern. Damit ist die schwierigste aller Mattführungen entstanden: Läufer und Springer. Nicolas muss seinen Gegner in 50 oder weniger Zügen mattsetzen, ansonsten kann dieser Remis reklamieren.


Bozinovic Boban - Küng Nicolas (115...Kxf5)

Bei perfektem Spiel von beiden Seiten errechnet Komodo 12 hier ein Matt in 25 Zügen, jedoch erst bei einer Rechentiefe ab 51. Nicolas gelingt das Matt nach über sechs Stunden Spielzeit im 144. Zug.


Bozinovic Boban - Küng Nicolas (144...Sc3#)

Alle Resultate zum Turnier findet man unter chess-results.com. Die besten 15 der Schlussrangliste sind unten aufgeführt.

Rg. Snr Name Land Elo Pkt.  Wtg1   Wtg2 
1 27 Küng Nicolas SUI 1957 8.0 41.0 53.0
2 177 Erwin-Casero Daniel AUT 1814 8.0 35.5 45.5
3 105 Pecha Martin AUT 1880 7.5 39.0 50.0
4 101 Galván Sarmiento José Luis ESP 1881 7.0 42.0 54.5
5 211 Krejcar Walter AUT 1784 7.0 42.0 53.5
6 109 Bozinovic Boban AUT 1877 7.0 39.0 50.0
7 132 Lerch Johannes AUT 1857 7.0 39.0 49.0
8 8 Jankovic Janko SRB 1984 7.0 39.0 49.0
9 46 Seidler Dieter DI GER 1931 7.0 38.0 48.0
10 33 Guerini Silvia jr ITA 1952 7.0 38.0 47.5
11 47 Prüll Lukas AUT 1930 7.0 36.5 48.0
12 15 Speck Stefan GER 1976 7.0 34.0 44.5
13 66 Goetz Claus Dr. GER 1913 7.0 33.0 43.5
14 369 Viviers Neil RSA 1528 7.0 33.0 42.0
15 70 Rein Joachim GER 1909 6.5 40.0 52.0
             
403              

Endstand nach 9 Runden

Nicolas schliesst das Turnier mit einer Elo-Performance von 2215 ab. Zur aktuellen FIDE Wertung von 1957 gewinnt er 47 Elo dazu, schiesst damit in der internationalen Wertung erstmals über die magische Grenze von 2000.

Nicolas Küng bei der Arbeit in Wien

Im Bericht des Schweizerischen Schachbundes wird seine Leistung gewürdigt und besonders hervorgehoben, dass er sich seine Spielstärke ganz von alleine angeeignet hat:

Nicolas Küng spielt erst seit fünf Jahren aktiv Schach und durchlief nicht die klassische U10/U12/U14/U16-Serie des Schweizerischen Schachbundes (SSB). 2015 kam er mit 1702 ELO in die Schweizer Führungsliste und kletterte innerhalb von nur drei Jahren auf seinen bisherigen Höchstwert von 2075. 2016 machte er erstmals national auf sich aufmerksam, als er die Kategorie B des Luzerner Opens für sich entschied. 2018 belegte er im Allgemeinen Turnier des Bieler Schachfestivals den 3. Platz.

Es gibt viele Leute, die gut Schach spielen. Aber Nicolas hat mehr als Talent. Mit diesem Bericht möchten wir ihn dafür auszeichnen, dass er einen ausserordentlich starken Siegeswillen in sich trägt und mit seinen knapp 22 Jahren auch bereits über das notwendige Durchhaltevermögen verfügt, seinen Widersachern über sechs Stunden lang die Stirn zu bieten. Herzliche Gratulation zu diesem sensationellen Erfolg und weiterhin gut Holz, lieber Kamerad!